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AutorenbildMatthias Wirth

Alt werden - Jeden ereilt es!

Sicher wird sich jetzt manch einer von euch gedacht haben, ich verrate hier ein paar Details über den aktuellen Stand meiner Midlife-Crisis (Habe ich eine?) und es gibt hübsch was zu lachen, aber da muss ich euch enttäuschen - vielleicht lest ihr ja trotzdem weiter. ;-)

Es geht auch weniger um das Altern an sich, sondern viel mehr um das Thema Pflege und Betreuungsbedarf im Alter. Damit kommt eigentlich jeder von uns irgendwann in Kontakt: in jüngeren Jahr als Angehöriger und in der letzten Lebensphase womöglich als Bedürftiger.


Politik trifft Praxis zum Thema Pflege

Am vergangenen Montag hatte die CDA, deren Kreisvorsitzender ich bin, zu einer Veranstaltung gemeinsam mit dem Caritasverband Geldern-Kevelaer eingeladen, die sich mit dem Thema Pflege und ärztliche Versorgung im ländlichen Raum beschäftigt hat. Zu Gast war Sabine Weiss MdB, die als Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit schwerpunktmäßig für alles rund um ambulante und stationäre Pflege zuständig ist. Ich möchte an dieser Stelle aber gar nicht die Veranstaltung an sich rekapitulieren, sondern noch einmal auf ein paar Aspekte eingehen, die für unsere politische Arbeit vor Ort wichtig sind. Wenn ihr euch einen Eindruck von der Veranstaltung am vergangenen Montag (27. Juli) verschaffen wollt, schaut euch das an: Beitrag auf der Website der CDA Kreis Kleve


CDA, CDU, Caritas, Veranstaltung, Teilnehmer
Politik trifft Praxis: Im Austausch mit der Caritas

Vielleicht fragt sich mancher: "Und was hat das jetzt mit Kommunalpolitik zu tun?" Sicher werden die großen Stellschrauben bei diesem Thema in der Bundes- und Landespolitik gedreht. Aber wir sollten nicht vergessen, dass wir auch hier vor Ort einen Gestaltungsspielraum haben, der, sofern er intelligent und vorausschauend genutzt wird, dafür sorgen kann, dass die allgemeine Wahrnehmung des Themas Alter & Pflege mehr als "Lebensende, Pflegenotstand und Personalmangel" ist.


Situation und Ausblick

Jeder weiß es: wir leben in einer alternden Gesellschaft. Das heißt, der Anteil alter und hochalter (über 80 Jahre) Menschen wächst stetig und damit steigt auch permanent der Bedarf an ambulanter und stationärer Pflege. Davon ist nach Aussage von Karl Döring (Caritasverband) der Südkreis Kleve besonders betroffen und bereits jetzt haben wir hier mit einem Mangel an stationären Heimplätzen zu tun, der in den nächsten zehn Jahren weiter anwachsen wird.


Ambulant vor stationär

Nicht nur der Regelungsrahmen der Pflegeversicherung sieht einen Vorrang der Pflege in häuslicher Umgebung vor, es ist auch ein Gebot der Menschlichkeit, Pflegebedürftige so lange wie möglich in ihrer heimischen Umgebung zu versorgen - "einen alten Baum verpflanzt man nicht". Und dann kommen noch die unbarmherzigen Zahlen hinzu: In der stationären Pflege ist der Personalbedarf mehr als doppelt so hoch, mit entsprechenden Auswirkungen bei den Gesamtkosten pro Pflegebedürftigem. Unter dem Strich haben wir also gar keine andere Wahl, wenn wir allein auf die personellen und finanziellen Aspekte sehen - die Menge verfügbarer Fachkräfte ist ebenso endlich wie der Inhalt der Pflege- und Sozialkassen. Das soll keinesfalls ein Plädoyer dafür sein, das Pflegeproblem auf Kosten der Angehörigen zu lösen, denn die darf man bei allen Überlegungen nie vergessen: Die körperliche und mentale Überforderung und Überlastung pflegender Angehöriger ist keine Randerscheinung. Hier können natürlich Tagespflegeeinrichtungen und die Unterstützung bei der Pflege zu Hause Entlastung bringen, dennoch müssen wir uns als Gesellschaft intensiv damit auseinandersetzen, den Stellenwert dieser Arbeit zu erhöhen und entsprechend anzuerkennen - nicht nur in Sonntagsreden sondern auch finanziell.


Sichtbarkeit schaffen - Einsamkeit bekämpfen

Zum Trend der alternden Gesellschaft tritt die Tatsache der ständig wachsenden Zahl von Singlehaushalten hinzu - auch diese Menschen werden alt. Lebten in Nordrhein-Westfalen 2018 noch 20,2 Prozent der Menschen in einem Ein-Personen-Haushalt, wird dieser Wert binnen 20 Jahren auf knapp 23 Prozent wachsen (Quelle: RP). Für die in diesem Zusammenhang entstehenden Vereinsamungsphänomene liegt gesellschaftlich kaum ein Interesse vor, was eigentlich verwundert, denn die Kombination aus zunehmender Individualisierung einerseits und steigender Technisierung des Alltages andererseits, wird in Summe eine ernstzunehmende Problemlage entstehen lassen - darüber werdet ihr in einem späteren Beitrag mehr lesen können. Andere Länder sind da bereits weiter, etwa Großbritannien, wo das Thema mittlerweile in einem eigens dafür geschaffenen Ministerium angebunden ist. Immerhin hat auch der Landtag Nordrhein-Westfalens im Januar eine Enquete-Kommission zum Thema Einsamkeit eingesetzt, auf einer entsprechenden Initiative der AfD-Fraktion basierend. Die Frage ist nicht unberechtigt, warum wir als Union dieses Thema so sträflich vernachlässigen und es uns auf landesparlamentarischer Ebene von einer Partei abnehmen lassen, die Sozialpolitik immer nur dann betreibt, wenn es in ihre die Gesellschaft spaltende Agenda passt - hier haben wir Nachholbedarf. Auch wenn Vereinsamung bei weitem nicht nur alte Menschen betrifft, wird für sie daraus eine unter Umständen akute gesundheitliche Bedrohung, wenn ein Betreuungsbedarf deshalb nicht erkannt wird, weil ihn niemand sehen kann.



Aktive Quartiersarbeit

Eines jedenfalls brauchen wir auf kommunaler Ebene dringend: einen "Kümmerer" vor Ort. Und das ist keine Arbeit, die man allein auf das Ehrenamt abschieben kann. Früher war es die "Gemeindeschwester", heute heißt es eben neudeutsch "Case Manager" - egal wie man das Kind nennen möchte, es muss eine professionell ausgerichtete hauptamtliche Stelle sein, die ihr jeweiliges Quartier im Auge hat, die Menschen kennt und die Gesamtsituation einschätzen kann. Auch bei uns am Niederrhein ist die dörfliche Welt eine andere als vor 30 Jahren: Dorfladen (oft) weg, Bank weg, Apotheke weg, kirchliches Gemeindeleben abnehmend (oder auch schon weg), Hausarztpraxis weg, die Angehörigen pendeln zum Arbeiten teils weite Wege und so weiter. Unter dem Strich nimmt die Zahl der Punkte rasant ab, wo weniger mobile Menschen miteinander in Kontakt kommen können. Viele gute Ansätze sind hier bereits im Entstehen, aber auf Ebene der Städte und Gemeinden muss das Ziel sein, in jedem Ort (ja, in jedem Ort!) einen "Kümmerer" zu etablieren. Ob das in kommunaler oder freier Trägerschaft geschieht, muss man diskutieren - Hauptsache, es passiert auf fachlich hohem Niveau.


Quartiersentwicklung - Zusammenleben neu denken

Bleibt abschließend noch die Frage nach der baulichen Gestaltung unseres Lebensumfeldes. Dass man stationäre Pflegeeinrichtungen möglichst nicht an den Ortsrand auf die grüne Wiese setzt, dürfte inzwischen gedankliches Gemeingut sein. Lebensende, Gebrechlichkeit und Bedürftigkeit gehören zum Leben und zu unserem Alltag dazu, auch wenn das nicht in unser Idealbild vom ewig fitten, gesunden und agilen Menschen passt, der in seiner letzten Lebensphase allenfalls noch als "Best Ager", aber keinesfalls als "alt" bezeichnet werden möchte. Dieses Ausblenden von Alter und Vergänglichkeit sagt sehr viel über eine Gesellschaft aus, soll an dieser Stelle aber nicht das Thema sein.

Und wie sieht es sonst in unseren Wohnvierteln aus? Ich denke, wir brauchen bei Neubauvorhaben und größer angelegten Sanierungen noch mehr Durchmischung, mehr barrierefrei angelegten Wohnraum. Und Durchmischung ist ernst gemeint: Es nützt nichts, eine altersgerechte Wohneinheit zu bauen, die in sich dann wieder Menschen mit einem (vielleicht nur geringen) Pflegebedarf von der Außenwelt abschottet. Mehrgenerationenwohnen hat einen hohen gesellschaftlichen Wert, der früher in der Großfamilie per se entstand, den wir heute aber durch gezieltes Bauen wieder fördern können. Über die Segregation im städtischen Milieu regen wir uns auf - die nicht nur baulich sondern oft auch in ihrer sozialen Zusammensetzung uniformen Bebauungsgebiete in Ortsrandlage nehmen wir als gegeben hin. Dort braucht es in Zukunft mehr gezielte Entwicklung mit dem Ziel 'Vielfalt'. Wenn wir das "Hinsehen", das "Kümmern" als gesellschaftlichen Wert begreifen wollen, sollten wir dem auch in unserer Art zu bauen, Ausdruck verleihen.


Ansätze für die Kommunalpolitik

Um es noch einmal zusammenzufassen, liegen die Ansatzpunkte für eine Kommunalpolitik, die einerseits den steigenden Bedarf an Pflege im Blick hat und andererseits sich einem generationenübergreifenden Denken verpflichtet fühlt, an folgenden Stellen:

  • Der Betreuungsbedarf älterer Menschen einerseits und die Belastungssituationen pflegender Angehöriger andererseits müssen sichtbar gemacht werden durch einen "Kümmerer" vor Ort nach dem Modell der einstigen "Gemeindeschwester". Der "Kümmerer" muss einen wirklichen Bezug zu seinem Gebiet entwickeln können, was nur in einer überschaubaren Einheit funktioniert.

  • Für ältere und weniger mobile Menschen bestimmen lebendige Dörfer die Lebensqualität. Der Erhalt oder die Schaffung solcher Strukturen kostet Geld und braucht an den Stellen Förderimpulse, wo die Kräfte des Marktes eine Lücke hinterlassen. Das betrifft Landärzte und Landapotheken ebenso, wie hybride Konzepte aus stationärem Einzelhandel und Lieferdienst, die auch Postdienstleistungen anbieten. Das sind unter dem Strich nicht nur Einrichtungen zur Bedarfsdeckung, sondern auch Orte wo soziale Interaktion geschieht.

  • Bei der Quartiersentwicklung muss der Gedanke des generationenübergreifenden und -verbindenden Bauens ein größeres Gewicht bekommen. Nur so kann "das Hinsehen" und "Kümmern" am Ende gelingen. Gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert man auch an dieser Stelle.

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