Am Donnerstag (26. September) ist es passiert: Nach seinem ersten gleichlautenden Entscheid im April hat der Kreistag es erneut mehrheitlich abgelehnt, eine Bewerbung des Kreises Kleve um die Einrichtung eines Nationalparks Reichswald in Richtung Landesregierung auf den Weg zu bringen. So weit, so erwartbar. Niemanden, der sich ein wenig für das politische Geschäft interessiert, verwundert das wirklich: alle inhaltlichen und politischen Positionen waren ausgetauscht und hatten sich seit April nicht geändert.
Im Folgenden gestatte ich mir einige ganz persönliche Bemerkungen über meine Wahrnehmung des Verfahrens in der letzten Zeit. Setzen wir bei der jüngsten Sitzung des Kreistages an. Dietrich Cerff als Vertreter der Antragsteller für das Verfahren des Bürgerentscheides durfte zuerst das Wort ergreifen und auch wenn ich in der ablehnenden CDU-Fraktion sitze und diese Position inhaltlich auch vertrete, bin ich Herrn Cerff ausgesprochen dankbar für den guten und für seine Sache brennenden Vortrag. Es ging endlich mal um Natur, Naturschutz, Erhaltung bedrohter Arten und die Schaffung von „menschenarmen Rückzugsräumen“ für Pflanze und Tier. Das ist doch der eigentliche Kern – Warum hört man von den Nationalparkbefürwortern aus den Reihen der Politik davon so wenig und stattdessen ständig nur Erwägungen, wie man auch dieses Projekt wieder nur verdinglichen, touristisch ausschlachten und einer kommerziellen Zweck-Nutzen-Logik unterwerfen kann?
Wenn ich für einen Nationalpark werben wollte, ginge es mir um Natur und nichts anderes. Punkt. Sich aus Angst vor den Gegnern in eine Überbetonung von Zweckrationalität und einen kleinteilig-bürokratischen Ermöglichungsformalismus zu flüchten, wie es später Andreas Mayer für die Grünen tat, ist doch letztlich nur eine taktische Ausweichbewegung – die zu schaffende und die das Pflücken jeder Brombeere regelnde Nationalparkverordnung soll das große, alle Interessen integrierende Versöhnungswerk werden. Aber übe ich mich in Bürokratismus, wenn ich für eine Sache brenne und jemanden begeistern möchte? Martin Luther King trat mit „I Have a Dream“ vor die Menschen und nicht mit „I have five Bulletpoints“.
Überhaupt vermittelt die ganze Angelegenheit ein wenig den Eindruck, dass die recht alte Frage nach dem Naturverhältnis des Menschen, zugespitzt als Natur vs. Kultur, sich auch an der Nationalparkfrage ausfechten lässt. Geben sich die Befürworter gern einem schwärmerisch-romantischen Naturverständnis für den in seiner heutigen Form nach dem Zweiten Weltkrieg von Menschenhand geschaffenen und rein nach Nützlichkeitsaspekten kultivierten Reichswald hin, versuchen sich die Gegner zuweilen daran, die Natur gegen die Natur in Stellung zu bringen: „Ein Nein zum Nationalpark ist besser für den Klimaschutz“, heißt es im 12-Punkte-Papier des Vereins der Nationalparkgegner – Das ist nun wirklich ein gnadenloser Frontalangriff auf jeden denkenden Menschen.
Ralf Klapdor (FDP) brachte es in seinem Redebeitrag auf den Punkt, dass der anstehende Bürgerentscheid keinen Beitrag zur Befriedung der Situation leisten wird, insbesondere dann nicht, wenn er knapp ausgeht, was auch ich (derzeit) für wahrscheinlich halte. Beide Seiten sitzen in ihren Schützengräben und die Auseinandersetzung schaukelt sich jenseits von Realitäten in die Höhe: Der Wolf, des Konservativen liebstes Gruseltier, wird bemüht, um das Bild des Nationalparks als zukünftige No-Go-Area für Rotkäppchen zu zeichnen und die andere Seite sieht sich mit dem Wattenmeer in Sachen Naturraumerlebnis, touristischer Attraktivität und Vermarktungspotential auf Augenhöhe. Übertreibung veranschaulicht.
Unter dem Strich finden sich stichhaltige, überzeugende Argumente für und gegen einen Nationalpark und ich halte es für wichtig, den Diskurs nicht so weit auszureizen, dass am Ende des Prozesses Kompromisse unnötig erschwert werden, die die unterlegene Seite mit ihren Interessen gesichtswahrend einbezieht. Vielfach sind Ängste die Triebfeder, die zwar nachvollziehbar, für eine zielführende Debatte aber nie ein guter Ratgeber sind, etwa die Bedenken aus den Reihen der Landwirtschaft, dass es im Zuge eines Nationalparks zu einer regulatorischen Ausweitung auch auf die Randzonen kommen oder die Bestandsschutz genießende Trinkwassergewinnung dereinst ein Ende finden könnte – aber: Zukunft ist per se ergebnisoffen, es gibt keine Garantie für irgendwas. Die Diskussion des Wertes der Verlässlichkeit in der Politik wäre zweifelsohne einen längeren Beitrag wert.
Egal wie der Bürgerentscheid nach dem 11. Dezember ausgeht: die Sonne wird für beide Lager wieder scheinen. Trotzdem lohnt es sich aus meiner Sicht, sauber und ohne Angstmacherei die Position zu verfechten, dass wir im Kreis Kleve ohne die Einrichtung eines Nationalparks besser auskommen und trotzdem achtsam und zukünftig (vielleicht sogar grundlegend) anders mit dem System Reichswald umgehen werden.
Als weitgehend nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeforsteter Nutzwald ist der Reichswald ein Produkt menschlichen Wirtschaftens und Gestaltens, damit dominiert der kulturelle Aspekt per se die (domestizierte) Natur. Das nun als Naturerlebnis zu vermarkten, erinnert nicht zufällig an das in der Architektur und im Städtebau bekannte Phänomen der „Disneylandisierung“, einschließlich des damit im Zusammenhang stehenden Vermarktungsprimats.
Eingedenk des Klimawandels im Rahmen einer (im engsten Sinne des Begriffs) ‚nachhaltigen‘ Forstwirtschaft den Reichswald weiterzuentwickeln, Holz zu nutzen und gleichzeitig verschieden gestufte Schutzzonen für Pflanzen und Tiere zu schaffen, halte ich für den sinnvolleren Weg im Rahmen der Klimafolgenanpassung.
Nicht jede Ecke des Waldes muss für Spaziergänger, Mountainbiker und Reiter zugänglich sein – Wald und Natur kommen prima ohne sie aus, aber die Funktion des Reichswaldes als Naherholungsgebiet sollte weitestmöglich erhalten bleiben, ohne Einschränkungen, ohne Überpädagogisierung und ohne teure Regulatorik.
Die naturräumlichen Gegebenheiten – die geringe Fläche von 5.100 ha und zusätzlich die Zerschneidung dieses Gebietes durch zwei Verkehrsachsen sprechen gegen die Ausweisung als Nationalpark. Hinzu kommt die weitgehende Einzäunung, um landwirtschaftliche Flächen vor Wildschäden zu schützen.
Als letzter und dennoch nicht unwesentlicher Punkt kommen die zu erwartenden Kosten hinzu: die Anrainerkommunen werden sich finanziell beteiligen müssen, ebenso der Kreis Kleve – über die Kreisumlage schlagen diese Kosten dann auf alle 16 Städte und Gemeinden durch, auch wenn nur vier von ihnen direkt betroffen sind. In Zeiten sich dramatisch verknappender kommunaler Finanzen gibt es einfach wichtigere (pflichtige) Baustellen (Schulen, Kindertagesstätten, Nahverkehr), die gegenüber einem „Kürprogramm Reichswald“ immer Priorität haben müssen.
Die nächste Ziellinie ist der 11. Dezember, bis dahin wird jeder kommunalwahlberechtigte Einwohner des Kreises Kleve per Briefwahl seine Stimme abgeben können. Weitere Informationen über den Bürgerentscheid finden sich hier: https://www.kreis-kleve.de/kreis-kleve/politik-und-kreistag/buergerentscheid-nationalpark-reichswald
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