An dieser Stelle soll es heute einen kleinen Rückblick auf die Mitgliederversammlung des CDU Stadtverbandes Kevelaer geben. In der Sitzung am 29. Juni wurde nicht nur der Vorstand neu gewählt, sondern es war auch die erste Gelegenheit für die drei Bewerber um die Landtagskandidatur im Wahlkreis Kleve I, sich den Mitgliedern der CDU vorzustellen. Diese haben am 1. September dann letztlich die Wahl darüber, wen sie in das Rennen um das Landtagsmandat 2022 schicken wollen.
Vor allem möchte ich im zweiten Teil des Textes aber noch ein paar Überlegungen ausformulieren, die in den zeitlich knapp bemessenen Vorstellungsveranstaltungen logischerweise keinen Raum finden können, aber es dennoch wert sind, aufgeschrieben und vielleicht auch diskutiert zu werden – letzteres würde mich freuen.
Erklären was wir tun: Entscheidungen in der Politik würden oft mehr Akzeptanz erfahren, wenn wir unser Handeln, die Prozesse und unsere Motivation besser erläutern.
In ihrer Berichterstattung übertitelte die Rheinische Post die Veranstaltung mit „kurios“. Kurios waren allerhöchstens die Begleitumstände und eben jene Überschrift, ganz sicher aber nicht die eingangs von vielen Formalien bestimmte Versammlung an sich. Erwähnter Begleitumstand war das Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen England, das die Heimreise unserer Jungs zur Folge hatte. Kleines Trostpflaster für die anwesenden Fußballfans war die stumme Übertragung des Spiels im Hintergrund, was mindestens zweimal für „Schmerzensschreie“ sorgte, die in keinem direkten Zusammenhang mit den Reden oder Kandidaten standen.
Einfach gewählt: Neuer CDU Stadtverbandsvorstand für Kevelaer
Um es etwas salopp zu formulieren: Die Wahl des Vorstandes lief für Kevelaerer Verhältnisse angenehm komplikationslos ab. Die turbulente Aufstellungsversammlung zur Kommunalwahl vom Beginn des Jahres 2020 und der daraus resultierende Rücktritt des Vorsitzenden steckte allen im Stadtverband Aktiven lang in den Knochen und wirkte sicher auch noch entsprechend nach. Die neue Mannschaft um den Vorsitzenden Michael Kamps wurde mit guten und sehr guten Ergebnissen gewählt und hat sich mittlerweile konstituiert und die Arbeit aufgenommen. Auch ich gehöre dem CDU Stadtverbandsvorstand weiterhin als Mitgliederbeauftragter an.
Die Zählpausen zwischen den einzelnen Wahlgängen waren ein guter Ort für die Vorstellung der Landtagsbewerber. Monika Lemmen (Straelen), Stephan Wolters (Geldern) und ich absolvierten das in alphabetischer Reihenfolge, was mich in dieser Situation immer in der Mitte platziert, egal ob man vorwärts bei A oder rückwärts bei Z beginnen möchte. Natürlich folgt diese Art der politischen Rede immer gewissen Ritualen: Etwas über die Biographie des Bewerbers, seine politische Heimat und Vernetzung möchte man ebenso hören wie über seine politischen Schwerpunkte und ein paar Aussagen, warum nur er oder sie „wirklich für den Job geeignet ist“.
Die Bewerber für die Kandidatur um das Landtagsmandat im Wahlkreis Kleve I: Matthias Wirth (Kevelaer), Monika Lemmen (Straelen), Stephan Wolters (Geldern)
An diesem Abend hatte ich mir zwei inhaltliche Schwerpunkte gewählt, zum einen das Thema Bildung, und ergänzend habe ich einige Schlaglichter auf das Spannungsfeld „Tradition & Innovation“ geworfen. Ich möchte an dieser Stelle einige weiter greifende Gedanken dazu ausführen, die beide Themenfelder berühren und auch miteinander verbinden, ohne dabei das Ziel einer wie auch immer gearteten „Vollständigkeit“ anzustreben.
Nun gehört „Bildung“ sicher auch zu jenen Buzzwords, die sich in so gut wie jedem werbenden Text einer Partei finden, ähnlich wie „Digitalisierung“. Dass gute Bildungspolitik mehr umfasst, als Schulen gut auszustatten und ausreichend Lehr- und Betreuungspersonal zur Verfügung zu stellen (zumindest dieses zu versuchen...), versteht sich ebenso von selbst, wie Digitalpolitik mehr ist, als Netzlücken zu schließen und die Terminvergabe bei der KfZ-Zulassung online zu ermöglichen.
Lebenslanges Lernen
Wie entscheidend sich der Faktor Bildung auf die (Erwerbs-)Biografien der jungen Generation auswirken wird, ist in meiner Wahrnehmung noch längst nicht in allen Köpfen angekommen. Lebenslanges Lernen und die Ermächtigung zur Fähigkeit dieses tun zu können, wird entscheidend über den individuellen und auch den gesellschaftlichen Wohlstand bestimmen. Die sich immer schneller drehende Spirale technischer Innovationen wird uns dieses schlichtweg aufzwingen.
Starb 1366 ein 1308 geborener Mensch, tat er dieses in einer Welt, die sich zwischen seinem Lebensanfang und seinem Lebensende nicht wesentlich unterschied. Das ging dem 1906 verstorbenen 75-jährigen schon deutlich anders – Eisenbahn und Industrialisierung prägten nun die Welt, dennoch waren die grundlegenden Strukturen an seinem Lebensanfang und- ende auch hier noch identisch: Wissen wurde in Büchern zusammengefasst und Nachrichten mündlich oder schriftlich übermittelt – vielleicht erhielt unser fiktiver Erdenbewohner in seinen letzten Lebensjahren auch schon ein Telegramm.
Ich bin 1980 geboren, also in einer Welt, in der (lineares) Fernsehen, Zeitungen, Polaroidkameras und das Universallexikon den Transport von Nachrichten, Erinnerungen und Informationen bestimmten. Für heute 15-jährige wirkt das beinahe wie aus einer anderen Welt. Und wenn wir bedenken, dass das heute unseren Alltag bestimmende Smartphone zu Beginn der Kanzlerschaft Angela Merkels erst dabei war, sich am Markt durchzusetzen, erkennen wir sehr leicht, dass die technischen Innovationszyklen in ihrer immer noch wachsenden Geschwindigkeit unseren Alltag bestimmen (und/oder Angela Merkel recht lange unsere Kanzlerin war).
Nicht nur in der Pandemie: Exponentielles Wachstum
Was unterscheidet nun die 1308 und 1831 Geborenen von jenen, die 1980 und 1995 das Licht der Welt erblickten? Letztere werden höchstwahrscheinlich in einer völlig anders gearteten Welt sterben als sie geboren wurden, wenn wir die Art zu Kommunizieren und die Menge des uns zur Verfügung stehenden Wissens (ohne das an dieser Stelle in seiner Qualität zu betrachten) als Maßstab verwenden. Oder um es etwas plakativer zu formulieren: Eine Zeitreise (bei durchschnittlicher Lebenserwartung) zwischen ihrem Geburts- und Sterbejahr wird sich anfühlen wie die Reisen zwischen zwei unterschiedlichen Welten. Nach gängigen Annahmen verdoppelte sich zwischen 1500 und 1900 etwa alle 100 Jahre das wissenschaftliche Wissen – heute ist das alle fünf bis 15 Jahre der Fall. Ohne sich an diesen zugegeben wackeligen Zahlen festzubeißen: Wissen und Speicherkapazität wachsen exponentiell und die daraus sich ableitenden Anwendungen und Nutzungsmöglichkeiten bestimmen unseren Alltag.
Bilden wir das schon ausreichend in unseren Schulen ab? Spiegelt sich das schon in unseren eigenen „lebenslangen Lernbiografien“ wider? Ich würde nicht fragen, wenn ein einfaches „Ja“ leicht über die Zunge ginge. Im Detail wird die Diskussion, was man (nicht nur) in der Schule lernen soll/muss/darf nie enden. Dennoch gibt es zwei grundlegende Aspekte, die mir im heutigen Bildungssystem zu wenig vorkommen und die zu häufig an den Fragen der Tagespolitik nach Räumen, Ausstattung und Personal erodiert werden. Versucht man auf das große alles verbindende Ganze zu schauen, kristallisieren sich am Ende zwei thematische Komplexe heraus:
1. Die Dynamik der Digitalisierung verstehen und nutzen
Wie ermächtigen wir Kinder, Jugendliche und Erwachsene die immer dynamischere Wissens-, Lern- und Arbeitswelt für sich zu nutzen? Zumindest für all jene, die nach der Schule einen technischen Beruf ergreifen, wird es fast Gewissheit sein, dass sie in diesem Berufsbild nicht in Rente gehen werden. Und auch der Dienstleistungssektor befindet sich stark im Umbruch: „Banking is necessary. Banks are not.“ Über dieses bereits 1994 von Bill Gates formulierte Bonmot wird heute zwar manchmal geschmunzelt, dennoch hat sich durch digitale Zahlungsdienstleister und die Kryptowährungen ermöglichende Blockchain-Technologie im Finanzsektor bereits soviel geändert, dass wir beim Verschwinden der klassischen Banken quasi live dabei sind. Doch wer versteht heute überhaupt noch die dahinterstehenden technischen Vorgänge und werden diese ausreichend vermittelt, um als Bürger und Verbraucher wissensbasierte Entscheidungen treffen zu können? Im Bereich der Lebenswissenschaften lassen sich ähnliche Beispiele finden und an den Stellen wo diese sich mit der Digitalisierung durchdringen, steigen wir als fortschrittskritische Deutsche ohnehin gern aus.
Gedanklicher Exkurs: Die Digital-Natives-Quote
Die erfolgreiche Unternehmerin Valerie Mocker streitet bereits seit einigen Jahren für eine Digital-Natives-Quote. Selbst wurde sie durch die Erfahrung geprägt, in klassischen Männerwelten wie Unternehmensvorständen immer die Jüngste und oftmals auch die einzige Frau zu sein. Sie ist der Meinung, dass wir die mit der Digitalisierung einhergehende Dynamik nur dann beherrschen werden, wenn wir die Hälfte der Führungspositionen in Politik und Wirtschaft mit Unter-35-jährigen besetzen, für die die virtuelle Welt so selbstverständlich zum Leben gehört wie die physisch fassbare. Nur so etablieren wir in Wirtschaft und Gesellschaft eine moderne Führungskultur, die die technologische Transformation widerspiegelt. Mehr darüber findet sich in der hier verlinkten Handelsblatt-Kolumne.
Wir leben in einem rohstoffarmen Hochlohnland, dessen Kapital in erster Linie in den Köpfen der Menschen steckt. Auch das sollte uns Motivation sein, mehr Anstrengung auf eine Verbesserung unseres Bildungssystems zu verwenden. Das bedeutet ganz praktisch zunächst, Lehrerinnen und Lehrer dazu zu qualifizieren, mit Hilfe der Möglichkeiten des Digitalzeitalters zu unterrichten – ein Arbeitsblatt im PDF-Format per Moodle zu versenden, kann nicht unser Anspruch sein und gerade darin erschöpfte sich im Lockdown nicht selten der „digitale Distanzunterricht“.
Gleichwohl kann sich Lernen nicht in moderner Technik und ihren (naturwissenschaftlichen) Grundlagen erschöpfen. Wie oft hört man Sprüche, die die geisteswissenschaftlichen Fächer gegen die Naturwissenschaften ausspielen: „Wozu brauche ich Musikunterricht, wenn die Mathestunde ausfällt?“ – Beides ist wichtig!
2. Was unterscheidet den Menschen von der Maschine? – Fluider Geist und Kreativität
Eine schon recht alte Kritik am Bildungswesen lautet, dass es alles Mögliche fördert aber nicht die Kreativität. Genau die unterscheidet uns aber von allen Maschinen und automatisierten Prozessen. Keine „Künstliche Intelligenz“ ist in der Lage, ein literarisches Meisterwerk zu schreiben, Musik zu komponieren, die uns unter die Haut geht oder auch anderen Menschen mit Empathie in Grenzsituationen des Lebens zu begegnen. Ich glaube, dass wir einen weiteren Fokus darauf richten sollten, den Kindern und Jugendlichen Kompetenzen zu vermitteln, die uns buchstäblich als Menschen kennzeichnen.
War ein grundlegender Spannungsmoment des Zeitalters der Industrialisierung, dass der einzelne Mensch im Rahmen der immer stärker arbeitsteiligen Produktionsweise den Bezug zu seiner „Hände Werk“ verloren hat, so ist die Digitalisierung ein Beschleunigungsfaktor der (auch schon davor voranschreitenden) Individualisierung – Wir kommen „ohne einander“ aus und verkennen dabei, dass eine wie auch immer strukturierte Ansammlung von Individuen noch keine Gesellschaft ist. Die darin liegenden Sprengkräfte für das Zusammenleben zu thematisieren, ist hier nicht der Ort, dennoch sollten wir mehr Augenmerk darauf richten, Menschlichkeit im umfassenden Wortsinne zu stärken, gerade auch durch entsprechende Bildung.
Bildung ist der Schlüssel zu Freiheit
In meiner Bewerbung um die Landtagskanditatur habe ich geschrieben, dass für mich der Schlüssel auf dem Weg in die Digitalgesellschaft Bildung und Bildung wiederrum der Schlüssel zu Freiheit ist. Eine Gesellschaft, die die Möglichkeiten der Digitalisierung effektiv ausnutzt, definiert sich nicht per se über Freiheit als Wert an sich. Ein Blick nach China und auf die von dort zu uns nach Europa permanent geschickte Botschaft genügt: „Wir verfolgen Wohlstandsmehrung und die Transformation zur Digitalgesellschaft erfolgreicher als ihr, ohne dass Menschen- und Freiheitsrechte dafür eine notwendige Bedingung wären.“ Das chinesische Social Scoring ist nichts anderes als die staatlich betriebene Pervertierung der Nutzer- und Datenanalysen, wie sie zum Geschäftsmodell von Tech-Giganten wie Amazon, Google oder Facebook gehören – ein „Spiel“, an dem wir Europäer ohnehin nur noch passiv als Konsumenten und Datenlieferanten teilnehmen.
Die Arbeit mit digitalen Endgeräten und die Nutzung entsprechender Anwendungen muss im Schulalltag ebenso zur Selbstverständlichkeit gehören, wie die Vermittlung einer Sensibilität dafür, was hinter den Verlockungen des digitalen Universums steht, um nicht selbst zum Spielball zu werden: Welchen Wert hat die Nachrichtenquelle, der ich meine zu vertrauen? Wann ist eine Information valide? Wie „gläsern“ bin ich als Nutzer von digitalen Endgeräten und den entsprechenden Anwendungen? Wie sieht für mich die Kosten-Nutzen-Rechnung als User aus? Die Vermittlung von Digitalkompetenz eben, die bei weitem nicht nur in den allgemeinbildenden Schulen ihren Platz haben sollte.
Ich möchte an dieser Stelle zunächst schließen und mich mit der Besprechung des Zweiklanges „Tradition und Innovation“ auf den nächsten Blogbeitrag vertagen. Die zahlreichen anstehenden Vorstellungsveranstaltungen bieten für Gedanken dazu ausreichend Raum und in meinem nächsten Beitrag von einer solchen werde ich das Thema wieder aufgreifen und näher beleuchten.
Wenn wir am Schluss gedanklich noch einmal zur Veranstaltung in Kevelaer zurückkehren, so ist es sicher zutreffend, explizit herauszustellen, dass es ein für die Zuhörer im Vergleich der drei Bewerber ein interessanter und inhaltsreicher Auftakt der Tour durch den Wahlkreis war. Weitere Veranstaltungen in anderen Stadt- und Gemeindeverbänden sowie den Vereinigungen folgen. Gerade dieses faire Miteinander ist in einem innerparteilichen Wettstreit wichtig, ganz besonders in den jeweiligen Heimatorten der Bewerber: Eine entsprechende Fortsetzung in Geldern folgt – in Straelen leider nicht.
Frisch gewählter Stadtverbandsvorstand der CDU Kevelaer gemeinsam mit den Gästen des Abends: Stefan Rouenhoff MdB und Margret Voßeler-Deppe MdL
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