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  • AutorenbildMatthias Wirth

Earth Overshoot Day - Ein Leben auf Pump

Aktualisiert: 29. Juli 2021

Am Donnerstag dem 29. Juli 2021 ist es so weit: Die den Planeten bewohnende Menschheit hat die für dieses Jahr zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen theoretisch verbraucht. Den Rest des Jahres leben wir über unsere Verhältnisse. Damit sind wir in Sachen Ressourcenverbrauch weltweit zurück auf dem Niveau vor der Pandemie.

Um es in noch ein paar andere Zahlen zu kleiden: Für ihren derzeitigen Ressourcenverbrauch benötigt die Menschheit eigentlich 1,7 Erden und würden alle Bewohner des Planeten einen Lebensstandard pflegen, der dem deutschem Wohlstandsniveau vergleichbar ist, läge der Welterschöpfungstag bereits am 5. Mai.


Foto: Barbara Mühlenhoff


Das ist natürlich alles andere als ein Tag zum Feiern, aber sicher ein Moment zum Innehalten und Reflektieren, was wir in unserem politischen Handeln tun, um unseren übergroßen Fußabdruck als Menschheit auf der Erde zu verringern. Dabei möchte ich überhaupt nicht in die heute gern gesungenen apokalyptischen Lieder einstimmen, in denen viel von der zerstörerischen Menschheit an sich und globaler Katastrophe erzählt wird und als einzige Erlösung ein Pfad aus der Abkehr vom wirtschaftlichen Wachstum gepaart mit gezielter Deindustrialisierung gepriesen wird.


Diese Verzichtsrhetorik übt sich natürlich leicht, wenn man es sich in den moralischen Höhenlagen der westlichen Wohlstandswelt bequem gemacht hat und sich dort den warmen Wind um die Nase wehen lässt. Lebten Anfang der 1950er Jahre ca. 2,7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten, sind es heute mehr als 7,5 und gegen Mitte dieses Jahrhunderts wird wohl auch die 10-Milliarden-Marke geknackt werden. Keine Neuigkeit ist ebenso, dass das stärkste Wachstum der Weltbevölkerung in Afrika und Teilen Asiens stattfindet, also in Regionen, wie ein deutlich niedrigeres Wohlstandsniveau haben, als Europa, die USA oder Japan.


Was ist Wohlstand? Wie misst man Wohlstand?

Schlägt man die deutschen Tageszeitungen auf und nimmt den dort allgemein gängigen Alarmismus beim Wort, bekommt man schnell den Eindruck, der Rückfall Deutschlands auf das Niveau eines „Dritte-Welt-Landes“ stünde unmittelbar bevor. Wohlstand ist für jeden etwas anderes. Hat man weniger als 1,90 Dollar am Tag zur Verfügung, lebt man in absoluter Armut – das geht etwa 738 Millionen Erdenbewohnern derzeit so und ist im Gegensatz zum Wohlstand leicht zu definieren.

Doch Wohlstand bemisst sich nicht nur an verfügbarem Einkommen und Geldvermögen, sondern beispielsweise auch nach dem Niveau der verfügbaren medizinischen Versorgung, der sozialen Absicherung und dem Zugang zu Bildung. Die Anziehung, die insbesondere Deutschland auf Armutsmigranten ausübt, ist zumindest ein Indiz dafür, dass wir im globalen Maßstab nicht „ganz so schlecht“ dastehen können – Kenngrößen wie der Nationale Wohlfahrtsindex oder der Human Development Index untermauern das. Das sehr ausgeprägte deutsche Anspruchsdenken suggeriert zuweilen anderes.

Die Frage, in welchem Maß auch individuelle Freiheit und Rechtsstaatlichkeit Teil von Wohlstand sind, wird man in China und den westlichen Demokratien wohl unterschiedlich beantworten, aber das ist ein eigenes Thema.


Bevölkerungsentwicklung und Wohlstandsniveau sind die beiden zentralen Stellgrößen für die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen. In aller Kürze: Ein höheres Lebensniveau geht immer mit steigendem Privatkonsum und einem veränderten Ernährungsverhalten einher. Beides ist verknüpft mir einem steigenden Verbrauch natürlicher Ressourcen. Dass Menschen in ärmeren Ländern ein höheres Wohlstandsniveau anstreben, ist nachvollziehbar und selbstverständlich. Unsere Verantwortung liegt darin, sie auf einem Weg zu unterstützen, der nicht in der ungezügelten Wegwerf- und Konsumgesellschaft mündet, wie wir sie (immer noch) betreiben.


Auf dem moralischen Olymp

Vor der eigenen Haustür haben wir selbst genug zu kehren: Der „Verbrauch des Planeten Erde“ findet nicht in den Hütten Afrikas sondern in unseren Wohlstandssiedlungen statt. Auch wenn das Bewusstsein für nachhaltiges Leben und Wirtschaften stetig zunimmt, ist das weitgehend immer noch ein Thema „politischer Eliten“, das in seiner ganzen Breite nicht gesellschaftlich verankert ist. Hinzu tritt eine gewisse Doppelzüngigkeit, wenn an „Heiler-Welt-Romantik“ vor der eigenen Haustür gebastelt wird, die unter dem Strich auf Kosten anderer Menschen und Regionen betrieben wird. Paradebeispiel dafür ist unsere Landwirtschaftspolitik – sowohl die stattfindende als auch die „grün erträumte“.


Wir leben in einer Zone mit gemäßigtem Klima und fruchtbaren Böden. Würden wir global denken, wären wir uns der daraus resultierenden Verantwortung bewusst, diese wertvolle Ressource möglichst effektiv – und das bedeutet nicht ausbeuterisch – für die Produktion von Nahrungsmitteln zu verwenden. Stattdessen produzieren wir als Nettoimporteur von Agrarprodukten auf einem Fünftel der ohnehin stetig sinkenden landwirtschaftlichen Nutzfläche Pflanzenmasse, die anschließend in Biogasanlagen verschwindet. Und machen wir uns nichts vor: Jeder in Deutschland stillgelegte, extensivierte oder nicht für den Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln genutzte Hektar Ackerland wird mindestens im Verhältnis 1:1 anderswo bei oftmals schlechteren Umweltstandards unter den Pflug genommen. Nichts anderes passiert zur Kompensation der sinkenden Hektarerträge im Biolandbau – geschieht das im Regenwald, kann uns das kaum recht sein.


Unser Streben nach echter Nachhaltigkeit (jenseits des Buzzwords), Kreislaufwirtschaft und eben einer gelebten Haltung der Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist für mich der richtige Weg. Ob man das nun aus einer christlichen Verantwortung gegenüber der Schöpfung ableitet oder dieses für sich anders begründet, spielt im Grunde keine große Rolle – das sich zwischen (individueller) Freiheit und (kollektiver) Verantwortung bildende Spannungsfeld lässt sich aus verschiedenen Perspektiven schlüssig betrachten.

Bestandteil dieses Weges muss aber eine ideologiefreie und faktenbasierte Reflexion unseres Handelns sein, das die (globalen) Schattenseiten unserer (heimischen) „moralischen Überlegenheit“ nicht ausblendet. Davon sind wir leider recht weit entfernt.


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